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Mousonturm / Studio 21:00

Tonia Reeh

Früher, da nannte sich die Berliner Musikerin Tonia Reeh noch Monotekktoni. Unter diesem Künstlernamen veröffentlichte sie harsche Noise-Attacken mit aufrührerischen Texten und spaltete so weit über die Hauptstadt hinaus die Gemüter. Für die einen klangen die pointierten Miniaturen nach intelligenter Krachmusik, für die anderen interessant, aber schwer zugänglich. Seitdem Reeh wieder unter ihrem bürgerlichen Namen musiziert, räumt sie statt des Berliner Underground lieber ihren eigenen Gefühlshaushalt auf. Mit Gesang und Klavier statt Geschrei und Verzerrer. Als kompletten Neustart möchte die Künstlerin ihr zweites Album unter dem „Tonia Reeh“-Banner aber trotzdem nicht verstanden wissen: „Die Intention ist bei Tonia Reeh eine ähnliche wie bei Monotekktoni, nur eben mit anderen Mitteln umgesetzt. Es geht ganz nach unten in die Untiefen des Charakters, der finsteren Gedanken und der großen Traurigkeit. Und das setze ich jetzt halt ohne technisches Gedöns um.“ Die Musik dazu sollte dieses Mal ganz nach ihr selbst klingen, so die klassisch ausgebildete Pianistin und Sängerin, die im Klavierspiel ihr neues Ventil entdeckt hat. „Ich habe auch die Schnauze voll davon gehabt, abhängig von Maschinen zu sein. Ich kann jetzt ganz direkt mit der Musik arbeiten.“ erklärt sie den musikalischen Richtungswechsel, oder sollte man besser von musikalischer Rückbesinnung sprechen? Immerhin ist die Sängerin mit der opulenten Stimme die Tochter zweier Opernsänger. „Ja, meine Eltern sind beide Opernsänger. Sie wünschten sich, dass ich auch Opernsängerin werden soll.“ Während andere ein befindlichkeitsfixiertes Statusupdate nach dem anderen durch die sozialen Netzwerke jagen, vertont die scheue Musikerin ihre privatistische Weltsicht lieber auf dem Klavier. „Boykiller“ hieß das kraftvolle Experiment, das 2011 auf dem Hamburger Label Clouds Hill veröffentlicht wurde und die eigenwillige Musikerin von einer bis dato unbekannten, verletzlicheren Seite zeigte. Das Album verband akustische Popmusik mit klassischer Moderne und schlug textlich privatere Töne an. Anders als früher verzichtet Tonia Reeh auf explizite politische Parolen und prangert gesellschaftliche Missstände eher aus einer persönlichen Warte an. Das setzt sich auch in dem eindringlichen „The Defeated Woman“ auf dem neuen Album „Fight Of The Stupid“ fort, das vom Scheitern in der Mutterrolle erzählt. Wie bereits beim Vorgänger bildet auf „Fight Of The Stupid“ die klassische Musik das Fundament, auf dem die Berlinerin einst ihre ersten künstlerischen Gehversuche unternahm. Stimme, Klavier und gelegentliche Soundeffekte – mehr braucht Tonia Reeh nicht, um ihr kompositorisches Können auszuschöpfen. Aufgenommen wurde wieder im Tonstudio des in Hamburg ansässigen Clouds Hill-Labels, zu dem Tonia Reeh eine freundschaftliche Verbindung pflegt. Prominente Unterstützung holte sie sich diesmal auch beim neuesten Clouds Hill-Signing, dem Ex-The Mars Volta-Mitglied Omar Rodríguez-López von den Bosnian Rainbows, der bei zwei Songs mit ein paar sparsam eingestreuten Gitarrenfiguren aushalf. Produziert hat die Platte wieder Clouds Hill-Hausproduzent Johann Scheerer, der für die Erzeugung perkussiver Effekte auch nicht vor ungewöhnlichen Klangquellen zurückschreckte: Bei „Non Believer“ wurde die Klappe eines alten Kaffeeautomaten zur Rhythmussektion umfunktioniert und bei Madame et Messieurs hat Schlagzeuger Tim Schierenbeck zwei Hundeschüsseln mit seinen Besen bearbeitet. Es sind eigenwillige Details wie diese, die „Fight Of The Stupid“ zu einem hoch spannenden Album machen, auch wenn die musikalischen Zutaten ansonsten dieselben geblieben sind. „Aufnahmetechnisch und generell wollten wir die Kontraste noch mehr hervorheben, das heißt nicht glattbügeln, sondern die schrägen Parts bleiben schräg und werden noch in ihrer Schroffheit betont, die schönen Parts dürfen richtig schön traurig sein. Und es gibt ein paar sehr cheesige Arrangements in den Refrains, es gibt richtige Ohrwürmer, die uns zum Schmunzeln gebracht haben.“ Einer davon ist sicherlich das überraschend eingängige „The Accused“, das mit seiner klassischen Popsongstruktur und gradem Uptempo-Beat aus dem Gesamtkontext fast schon rausfällt. Oder das an PJ Harvey erinnernde Stück „Non Believer“, das durch intensive Tempowechsel und schön-schräge Bläsereinsätze besticht. Gediegener geht es wieder auf „Hellhound“ zu, das trotz seiner Langsamkeit an alte Blues-Nummern und an die neue, reduziert arrangierte Nick Cave-Platte erinnert. „Fight Of The Stupid“ ist kraftvoll, düster, eigenwillig und von komplexer Schönheit. Und nicht zuletzt ein musikalisch vielschichtiges Statement einer klugen Songwriterin mit Haltung, die es verdient, gehört zu werden.
Tickets 8 € VVK zzgl. Gebühren